Osteoporose – Knochenschwund: Ursache, Symptome und Therapie

Die Osteoporose zählt zu den bedeutenden chronischen Erkrankungen unserer Zeit (Weltgesundheitsorganisation 1999). Zugrunde liegt eine Reduktion an Knochenmasse und Zerstörung der knöchernen Mikroarchitektur. Die Erkrankung bleibt lange klinisch stumm und tritt ganz überwiegend erst im höheren Lebensalter durch eine verminderte Bruchfestigkeit der Knochen in Erscheinung.

Da beim älteren Menschen häufig gleichzeitig eine erhöhte Sturzneigung vorliegt – aufgrund altersassoziierter Funktionseinschränkungen und Multimorbidität – nimmt die Inzidenz (Neuerkrankungsrate) von Frakturen (Knochenbrüchen) jenseits des 60. Lebensjahres exponentiell zu. Dies ist mit erheblichen direkten und indirekten Folgekosten verbunden (Behandlungs- und Pflegekosten; Verlust an Selbständigkeit; Invalidität; Pflegebedürftigkeit; Einbußen an Lebensqualität). Für viele Gesellschaften erwächst hieraus im Zuge der Überalterung eine zunehmende sozioökonomische Belastung (Scheidt-Nave 2001; Wildner et al. 2002; Pientka 2004; O’Neill et al. 2004).

Kenngrößen der Erfassung Osteoporose-typischer Knochenbrüche

Klinische Frühzeichen der Osteoporose, die den Knochenbruch-Ereignissen vorausgehen, sind nicht bekannt. Bislang stehen auch keine geeigneten Untersuchungsmethoden zur Verfügung, die eine gezielte Früherkennungs-Diagnostik auf breiter Basis (Krankheits-Screening) erlauben würden. Die Frage, welche und wie viele Frakturen insgesamt auf eine Osteoporose zurückgehen, lässt sich daher nicht exakt beantworten. Epidemiologische Studien haben jedoch verschiedene Kenngrößen identifiziert, die eine Osteoporose als hauptsächliche oder mitwirkende Ursache wahrscheinlich machen (Scheidt-Nave et al. 1998; Scheidt-Nave et al. 2003; Wildner et al. 2003):

  1. Frakturhergang: keine größere Gewalteinwirkung von außen;
  2. Altersabhängigkeit: exponentielle Zunahme der Inzidenz im höheren Lebensalter;
  3. Geschlechtsunterschiede: Inzidenz bei Frauen 2- bis 3-fach höher als bei Männern vergleichbaren Alters;
    Besonders häufig betroffene Skelettabschnitte: Wirbelkörper; handgelenksnahe Abschnitte des Unterarms; Oberschenkelhals und andere hüftgelenksnahe Abschnitte des Oberschenkelknochens; schultergelenksnahe Abschnitte des Oberarmknochens;
  4. Zusätzliche Befunde: stark erniedrigte Knochenmasse (Bestimmung über die sogenannte Knochendichtemessung, das heißt, eine röntgenabsorptiometrische Bestimmung des Calcium-Hydroxylapatit-Gehaltes im Knochen); Vorliegen starker
  5. Osteoporose-Risikofaktoren: eingeschränkte Mobilität; extrem niedriges Körpergewicht (Body-Mass-Index < 20), bestimmte Vorerkrankungen; längere Einnahme von Glukokortikoiden (Cortisonpräparaten).

Häufigkeit Osteoporose-typischer Knochenbrüche

Oberschenkelhalsfrakturen sind aus ökonomischer Sicht die entscheidende und methodisch gesehen auch die härteste klinisch fassbare Folgeerscheinung der Osteoporose, da sie nahezu vollständig erfasst werden. Die Erfassung von Frakturen anderer Lokalisationen ist weitaus unzuverlässiger. Insbesondere Wirbelfrakturen werden erheblich unterdiagnostiziert, da spezifische klinische Symptome fehlen und die Diagnose große Erfahrung und einen hohen Standardisierungsgrad erfordert. Gerade die Wirbelfrakturen reflektieren die Grundkrankheit Osteoporose vergleichsweise am besten, da ihre Entstehung weitaus weniger von einem erhöhten Sturzrisiko mit beeinflusst wird (Leidig-Bruckner et al. 2000; Scheidt-Nave 2003).

Einschätzungen zur Inzidenz von Oberschenkelhalsfrakturen beruhen in Deutschland abgesehen von einzelnen regionalen Primäruntersuchungen (Cöster et al. 1994; Lehmann et al. 1998) ganz überwiegend auf Sekundäranalysen der Krankenhausdiagnosestatistik (Wildner und Clark 2001; Wildner et al. 1999; Wildner et al. 1997). Unter Vorbehalt aller damit verbundenen methodischen Einschränkungen im Hinblick auf Missklassifikation und Doppelerfassungen lassen sich für Deutschland folgende Punkte zur Inzidenz der Oberschenkelhalsfraktur zusammenfassen:

  • Zur Zeit ist mit insgesamt etwa 100.000 neuen Oberschenkelhalsfrakturen pro Jahr zu rechnen.
  • Frakturraten steigen bei Frauen und Männern erst nach dem 75. Lebensjahr exponentiell an.
  • Die Inzidenz liegt höher in den alten als in den neuen Bundesländern.
  • Inzidenzraten zeigen steigende Tendenz, insbesondere in den neuen Bundesländern.
  • Trendanalysen zur Entwicklung der altersspezifischen Inzidenz von Oberschenkelhalsfrakturen in der ehemaligen DDR (zentrales Krankenhausregister) von 1971-1989 weisen auf eine Zunahme innerhalb bestimmter Altersklassen hin (Wildner et al. 1999). Ein solcher ‚säkularer Trend’ wird auch in einigen anderen europäischen Ländern, den USA und Neuseeland beobachtet, wobei sich zum Teil mittlerweile eine Stabilisierung abzuzeichnen scheint (Balasegaram et al. 2001).
  • Im internationalen Vergleich liegt Deutschland im Mittelfeld, hinter Skandinavien und den USA. Innerhalb Europas wird ein klares Nord-Süd-Gefälle beobachtet (Johnell et al. 1992).

Zur Einschätzung der Häufigkeit von Wirbelfrakturen ist man auf bevölkerungsbezogene Röntgen-Reihenuntersuchungen angewiesen, die eine standardisierte Anfertigung und Beurteilung von Röntgenbildern der Brust- und Lendenwirbelsäule erlauben. Entsprechende Daten für Deutschland stammen aus der von 1993 bis 1996 im Rahmen einer konzertierten Aktion der EU und mit Unterstützung des BMBF durchgeführten Europäischen Vertebralen Osteoporose Studie (EVOS) und ihrer längsschnittlichen Fortsetzung der Europäischen Prospektiven Osteoporose Studie (EPOS).

Deutschland war an dieser Studie mit nach Alter und Geschlecht geschichteten Zufallsstichproben der über 50- bis 79-jährigen Bevölkerung aus acht Städten beteiligt (O’Neill et al. 1996; The European Prospective Osteoporosis Study Group 2002). Im europäischen Vergleich wurde die höchste Inzidenz für Wirbelfrakturen wiederum in den skandinavischen Ländern beobachtet. Die Oberschenkelhalsfraktur war aufgrund der oberen Altersbegrenzung in dieser Studienpopulation von geringer Bedeutung.

Prävention von Knochenbrüchen

Konzepte zur Prävention (Vorbeugung) von Knochenbrüchen im höheren Lebensalter müssen berücksichtigen, dass Ursachen für die Entstehung einer Osteoporose und für ein erhöhtes Sturzrisiko in komplexer Weise ineinandergreifen (Scheidt-Nave et al. 1998; Scheidt-Nave 2001; Scheidt-Nave et al. 2001). Wissenschaftliche Fachgesellschaften in zahlreichen Ländern haben sich in den letzten Jahren bemüht, auf der Grundlage einer systematischen Sichtung und Bewertung der vorhandenen wissenschaftlichen Erkenntnisse, Leitlinienempfehlungen für Ärzte und Patienten zu formulieren.

In Deutschland hat diese Aufgabe der Dachverband der deutschsprachigen osteologischen Fachgesellschaften (DVO) übernommen (Fassbender et al. 2003). Eine erste Fassung der Ärzteleitlinien zur Prophylaxe, Diagnose und Therapie der Osteoporose beim älteren Patienten, bei postmenopausalen Frauen und bei Patienten unter Glukokortikoidtherapie (Pientka et al. 2003; Scheidt-Nave et al. 2003; Mittermayer et al. 2003) sowie eine Patientenleitlinie sind auch in elektronischer Form über das Internet abrufbar (DVO 2003; Leitlinien). Eine Aktualisierung soll in zweijährlichen Abständen vorgenommen werden.